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Wespennest Backlist
Jan Koneffke
Das Wort der unbegrenzten Wirklichkeiten

Das Adjektiv „alternativlos“ wurde 2010 zum Unwort des Jahres gekürt, da es jeglichen politischen Diskurs im Keim ersticke. Inzwischen sprießen – ob in Deutschland oder Übersee – die zumeist rechtspopulistischen politischen Alternativen wie Pilze aus dem Boden. Jan Koneffke begleitet das A-Wort auf dem Weg zu neuen Wirklichkeiten.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es zu dem Begriff alternativ neuerdings keine Alternativen gibt. In Deutschland schien das A-Wort eigentlich schon aus der Mode gekommen, seitdem sich Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre diverse „Alternative Listen“ in der Grünen Partei aufgelöst hatten. Bundeskanzlerin Merkel wiederum hatte ihren Regierungskurs lange Zeit als alternativlos bezeichnet, was die Opposition – allen voran die sozialdemokratische – vernünftigerweise eingesehen und das Opponieren lieber gleich aufgegeben hatte. Doch dann kam der Wirtschaftsprofessor und Euro-Gegner Bernd Lucke, um es der Kanzlerin zu zeigen, und gründete seine „Alternative für Deutschland“. Während Merkel Tag und Nacht im Einsatz war, angeblich um die EU und den Euro zu retten, und es dabei fertigbrachte, die Krise zu vertiefen oder höchstens zu verschleppen – verschleppte Krankheiten haben bekanntlich umso ernstere Folgen –, glaubte der kleine Makroökonom, seine Forderung nach dem Ausstieg aus dem Euro stelle die Alternative zum Regierungshandeln dar. Weit gefehlt! In Wahrheit nämlich scheint das Ende der Währungsunion und der Zerfall der Europäischen Union aufgrund einer in erster Linie nationale Interessen bedienenden Politik, wie sie in Brüssel gerade vom starken Deutschland durchgesetzt wurde (und weiterhin wird), nur noch eine Frage der Zeit, mithin gänzlich alternativlos zu sein.

Den Professor muss das freilich nicht mehr kümmern, denn wenn es auch sein fragliches Verdienst bleibt, die Alternative für Deutschland gegründet zu haben, so musste er als Vorsitzender schon bald der „Alternative für Lucke“ weichen. Auf dem Parteitag per Abstimmung durch Frauke Petry ersetzt, gründete das Alphatierchen schwer beleidigt als Alternative zur Alternative für Deutschland die Formation ALFA. Allerdings stand das A im Parteinamen keineswegs für Alternative, sondern für Allianz, was schon wesentlich weniger sexy war. Aber nicht einmal dieses Akronym durfte die Neugründung des Professors beibehalten, denn es wurde ihr vor Gericht streitig gemacht. Und das nicht etwa von der flotten Automarke Alfa Romeo, die „Fahrleidenschaft, Technologie und Eleganz, gegossen in italienisches Design“ in sich vereint, sondern von der gegen Abtreibungen streitenden „Aktion Lebensrecht für Alle“. Da es aber zu allem eine Alternative gibt, dauerte es nicht lange, bis Lucke einer mäßig interessierten Öffentlichkeit den neuen Parteinamen präsentierte: LKR (Liberal-Konservative Reformer), dessen erotische Ausstrahlung der des Bernd Lucke in nichts nachsteht.

Nun hätte man annehmen dürfen, dass sich die Alternative für Deutschland ihrerseits schleunigst nach einem alternativen Namen umschaut. Schließlich konnte es doch nicht im Interesse der luckelosen, nun stramm rechts bis völkisch marschierenden Partei sein, dass man ihre Mitglieder, Führung und Fußvolk, ausgerechnet für Nachfahren jener Alternativen hält, bei denen es sich um die sichtbarsten Vertreter der versifften rot-grünen 68er-Republik handelte. Eigentlich also müsste der Partei ihr eigener Name den größten Abscheu bereiten – doch scheint er selbst dem Vorsitzenden Meuthen nicht peinlich zu sein. Das wiederum passt zur Geschichte rechtsextremer Parteien und Bewegungen. Die waren nämlich immer besonders vif, wenn es darum ging, sich Ideen und Begriffe des linken Gegners anzueignen und so lange zu rütteln und zu schütteln, bis der neue eklektizistische Cocktail die Massen – nein, nicht „ergriff“ (das ist auch nur so ein linker Romantizismus), sondern regelrecht besoffen machte.

Es kann ja auch niemand bestreiten, dass der Fraktionsvorsitzende der AfD im Thüringer Landtag, der Gymnasiallehrer für Sport und Geschichte (sic!), Björn Höcke, eine echte Alternative für Deutschland verkörpert. Schließlich hat er erkannt, dass „unser liebes Volk […] im Inneren tief gespalten und durch den Geburtenrückgang sowie die Masseneinwanderung erstmals in seiner Existenz tatsächlich elementar bedroht [ist].“ Der Mann hat eine „historische Mission“ und will den Deutschen eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ verordnen, damit sie auf die Ermordung von sechs Millionen Juden wieder richtig stolz sind: Es kann ja auch nur der Herrenmensch kraftvoll kopulieren und kernige Kinder kriegen! Warum die AfD ausgerechnet Björn Höcke nun ausschließen möchte, mithin einen Mann, der die Politik seines Landes um 180 Grad drehen will, ist völlig unverständlich: alternativer geht’s doch gar nicht! Gewiss, Höcke hat nicht nur hellblaue Augen, er scheint auch politisch ein wenig blauäugig zu sein, sonst hätte er sich denken können, dass seine Philippika gegen die „dämliche Bewältigungspolitik“ der Deutschen von der „Lügenpresse“ umgehend zum Skandal aufgeblasen wird. Alternativ dazu hat sich Höcke auch gleich mit den Worten entschuldigt, er habe „ein wichtiges Thema in einer Bierzeltrede vergeigt“, während man gar nicht so genau wissen möchte, wie es sich anhört, wenn der Mann eines Tages sein „wichtiges Thema“ in einer Bundestagsrede nicht nur erfolg-, sondern auch folgenreich vortragen sollte.

Da aber bekanntlich am deutschen Wesen die Welt genesen muss, hat das A-Wort inzwischen den großen Teich überquert, um in den Vereinigten Staaten Karriere zu machen. Während des amerikanischen Wahlkampfs spielte es zwar noch keine prominente Rolle, im Gegensatz zu den omnipräsenten fake news, die vor allem von jenem Kandidaten beklagt wurden, der sie mit besonderer Hingabe in Umlauf brachte, hatte dann aber einen um so größeren Auftritt: Denn die Trump’sche 180-Grad-Wende bezieht sich gleich auf die Wahrheit selbst. Man stellt sie so schamlos, radikal und nachhaltig auf den Kopf, dass irgendwann keiner mehr weiß, was richtig oder falsch ist.

Um diese Operation zu vervollkommnen, bedarf es nur noch einer Angleichung der Tatsache an die unhaltbare Aussage, wie sie neulich von der Beraterin des US-Präsidenten, Kellyanne Conway, vorgenommen wurde, als sie den Pressesprecher Sean Spicer in Schutz nahm: Der hätte über die Anzahl der Teilnehmer bei der Präsidentenvereidigung keineswegs Lügen in die Welt gesetzt, sondern lediglich alternative Fakten präsentiert. Stephen Bannon, Alternative-Right-Hand des Donald Trump, hat sich als selbsternannter Leninist von seinem Vorbild vermutlich nicht nur das Ziel, die Zerstörung des Staates, abgeguckt – er dürfte sich auch an dessen wirksamsten Mitteln ein Beispiel genommen haben, zu denen nicht zuletzt die Technik der Desinformatija gehört. Dass exakt hundert Jahre nach dem Sturm auf das Winterpalais die russische Revolution im amerikanischen Präsidenten Donald Trump zu sich selbst käme – es wäre wahrhaft ein alle fake news schlagender Treppenwitz der Geschichte!

Wenn man aber erst einmal damit angefangen hat, die Wirklichkeit in eine alternative Wirklichkeit umzuwandeln, gibt es bald kein Halten mehr: Laut Wall Street Journal plant die neue US-Regierung beim Handelsdefizit auf alternative, das Defizit aufblähende, Berechnungsmethoden zu setzen. Das wäre ja auch nicht neu. Wie der von Trump bewunderte ehemalige KGB-Agent Wladimir Putin weiß, gab es doch schon zu sowjetischen Zeiten überhaupt nur alternative Fakten: Von auf dem Papier übererfüllten Fünfjahresplänen bis zu geschönten Wetterberichten. So könnten Trump & Co. je nach Bedarf Verbrechensraten, Einwanderungsquoten und Wachstumskurven steigen oder sinken lassen. Es würde endlich bewiesen, dass Angela Merkel, zusammen mit alten Seilschaften der Stasi, seit Langem daran arbeitet, das deutsche Volk auszumerzen. Am Ende würde der Mensch nicht vom Affen, sondern von Björn Höcke abstammen, zumindest der arische, und sich die Sonne um die Erde drehen. Die selbstverständlich eine Scheibe wäre!


Jan Koneffke, geb. 1960 in Darmstadt. wespennest-Redaktionsmitglied seit 2004. Er studierte Philosophie und Germanistik in Berlin und verbrachte nach einem Villa-Massimo-Stipendium sieben Jahre in Rom. Heute lebt er als Schriftsteller und Publizist in Wien und Bukarest. Werke (Auswahl): Eine nie vergessene Geschichte (2008; als TB 2011), Die sieben Leben des Felix Kannmacher (2011; als TB 2012), Ein Sonntagskind (2015).

09.03.2017

© Jan Koneffke / wespennest


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